Michael Hofstetter: VON ALLEM ENTFERNT / ALLES BEHERRSCHEND

 

 

Haus der Kunst
Prinzregentenstraße 1
80538 München

Scharf im Schauen – Aktuelle Kunst in München

Thomas Demand, Sabine Groß, Michael Hofstetter, Sabrina Hohmann, Stephan Huber, Verena Kraft/Kurt Petz, Michaela Melian, Beate Passow, Ralf Peters, Barbara Probst, Matthias Wähner, Andreas Weizsäcker Ausstellung: 10. September bis 30 Oktober 1994

 

Michael Hofstetter, Heimatfront

Zurückgezogen in unsere Wohnungen empfangen wir Welt via Rundfunk, Fernsehen oder Computer - zubereitet in Informationshäppchen. Hier, daheim, ist alles verständlich und rational beherrschbar. Je kleiner der Ausschnitt der Welt ist, den wir empfangen, um so umgänglicher wird er. Seine Glätte ist der Vorhang der Barbarei. Alles ist möglich, wie Paul Feyerabend verkündet, weil, indem wir uns immer mehr von allem abschotteten, uns alles ermöglicht wurde.

Damit die Welt für unseren aufklärerischen und rationalen Anspruch erträglich wird, reduzieren wir sie auf ihre kausal-deterministische und technische Wirklichkeit. Dieser technische Aspekt an der Welt schafft eine exklusive Welt in der Welt und neben anderen Exklusivwelten. Diese exklusive Welt wurde zu unserer Welt. Als solche, von allem Disperaten und Paradoxalen gereinigt, überschauen und beherrschen wir sie. Sie ist so, als Totale, die vollkommene Erfüllung unseres Wunsches an sie. Leiden wir jetzt noch Mangel, weil wir das Außen bloß stark gefiltert wahrnehmen, so beginnen wir die weißen Stellen in unserem Heim mittels der technischen Herstellbarkeit von Welt durch den Computer zu füllen. Diese künstliche Welt, die wir mit dem Computer erzeugen, korrespondiert mit der Künstlichkeit unseres Zustandes daheim, abgeschirmt.

Mit Eintritt in die Moderne, mit dem Zeitalter der Aufklärung, richtete sich der Mensch immer mehr in dieser Welt ein. Dieses Einrichten ging einher mit dem Ausblenden von Welt. Der Begriff des "white cube", des neutralisierten Ausstellungsraumes, in dem sich ALLES ausstellen läßt, ist vergleichbar mit der Wohnung des 20. Jahrhundertes in der westlichen Hälfte dieser Erde. Dem gereinigten Innenraum, dem Daheim, entspricht der gereinigte Innenraum Museum. Als "reiner Raum" tritt er in ein dialektisches Verhältnis zum Schmutz des Draußen. Auf diese Weise erstellt und sanktioniert er die Barbarei des außen. Das Haus der Kunst wurde hinsichtlich seiner Zielsetzung und seines Gebrauchs während der Naziherrschaft als gereinigtes Innen propagiert und betrieben. Hierin liegt seine herausragende Stellung. Das Haus der Kunst ist als Architektur und als ideologische Setzung radikaler Ausdruck der oben beschriebenen dialektischen Verknüpfung. Als reiner, heiler und erhabener Innenraum evoziert er die Barbarei draußen. Das Konzentrationslager Dachau und das Haus der Kunst entstehen fast zeitgleich – rechnet man die Bauzeit nicht mit.

Dem dialektischen Verhältnis von totalem Innen = Museum und totalem Außen = Krieg entspricht dasjenige von Musentempel und Lager oder später im Krieg von Führerbunker und Front. In unserer heutigen bürgerlichen Vorstellung von Kunst findet sich der Führerbunker als Atelier wieder. Dort wird Welt nicht gehört, sondern - ausgeblendet und neu erschaffen - verkündet.

Der Gedanke der Ausblendung von Welt zur Schaffung eines verfügbaren Territoriums liegt dem Werk "von allem entfernt / alles beherrschend" zugrunde. Die bis in die heutige Zeit vorgenommene sukzessive Neutralisierung des Innenraums – und somit Löschung der geschichtlichen Spuren – im Haus der Kunst mit Hilfe eingezogener Decken und eingebauter Wände wird in der Installation von Hofstetter weitergetrieben und verschärft.
Die Installation greift eine im Zuge der Raumneutralisierung entstandene Kojensituation auf und setzt in diese ein, um 58% verkleinertes, Duplikat der Koje. (Der Verkleinerungsmaßstab von 58% ergibt sich aus dem Abstand zwischen den beiden Kojeneingängen) Es entsteht eine Koje in der Koje. Die beiden Eingänge der innersten Koje werden mit je einer Glasscheibe verschlossen, auf der jeweils eine durchsichtige Farbfotografie appliziert ist. Die Größe der Farbfotografie entspricht einer nochmaligen – gedachten – Verkleinerung dieser Kojeneingänge um 58%. Auf diese Weise erstellt sich über die Maße der Farbfotografie eine weitere - fiktive - Verkleinerung der Koje.

Die beiden Farbfotografien zeigen Hofstetters Arbeitsraum mit dem für die Installation relevanten Teilmodell und mehr als einem Dutzend Fotografien zur Geschichte des Haus der Kunst. Durch die installierten durchsichtigen Farbfotografien schauend, verschränkt sich für den Betrachter der "reale" Museumsraum mit dem fotografisch vorgestellten Arbeitsraum. Beide Räume sind strukturell vergleichbar, weil sie sich über die Ausblendung von Wirklichkeit konstituieren und ihre Aufgabe darin sehen, mittels Kunst die Wirklichkeit wieder zum Erscheinen zu bringen. Beide, Arbeitsraum und musealer Raum, ermöglichen und bedingen durch ihren Zustand der Abgeschirmtheit einen rein ästhetischen Umgang mit Welt, weil diese sich in ihnen nur fiktional wiederherstellen läßt.

Die Verbindung von Arbeits- und Museumsraum thematisiert anhand der auf dem Foto erkennbaren Hinweise auf die Geschichte des Hauses den Versuch und das Scheitern, Geschichte zu rekonstruieren. Unter den Bedingungen des Interieurs ist alles möglich und damit Ortsspezifische Kunst in ihrem Anliegen unmöglich. Unmöglich deshalb, weil sich im Museum, wie auch im Atelier, der Aspekt des ortsspezifischen sofort fiktionalisiert und seine Intention als erstellte Erinnerung zugunsten seiner ästhetischen Produkthaftigkeit verliert. Durch diese Produkthaftigkeit zum künstlerischen Werk geworden, schaltet sich im Museum jede Strategie der Rekonstruktion verschwundener Wirklichkeit mit anderen künstlerischen Werken, welche in ihrer Mehrzahl Zeugnisse des zurückgezogenen Genies sind, gleich.

Dr. Shiva Lachen 1994