Die Welt, 25.04.01


Mode, Mobbing und die Kunst
Von Astrid Mayerle


Der Künstler Michael Hofstetter stellt gerade in der Galerie Kampl aus
- Eine
Führung durch die Ausstellung

"Sanfte vorwölbende Lippen
auf glattem dunklen Blau
umgriffen von Bär und Leuchtturm
feucht schwarzer Hafen Mund."


Wie Ausschnitte aus einem expressionistischen Gedicht klingen diese Zeilen, doch
sind sie Teil eines poetischen Gebildes aus vielen ineinander greifenden,
zerstückelten Wortreihen, die sich auf einer quadratischen Fläche ausbreiten: "Die
Liebe" ist der Titel dieser 1997 entstandenen Arbeit des Münchner Künstlers
Michael Hofstetter.
Schrift spielt eine wichtige Rolle in den meisten seiner Fotografien, Skulpturen,
Aquarelle und Leuchtkästen. Mit der Schrift dringen auch Erwartungshaltungen in
Bilder ein, denen der Künstler durch Galeristen, Kollegen und sein Publikum
ausgesetzt ist. Die Zeilen in "Traum des Galeristen" (1996) lesen sich wie konkrete
Handlungsanweisungen: "Ich will einen Leuchtkasten, aber lass doch die Schrift
weg." Im Bild entsteht ein innerer Dialog, der das Unbehagen und den Zwiespalt des
Künstlers wiederspiegelt: Verkaufsstrategien des Marktes konkurrieren mit
künstlerischer Autonomie. "Ich bin der Meinung, dass Kunst momentan nach
Moden beurteilt wird, dass es verbindliche Werturteile kaum mehr gibt", urteilt
Hofstetter. "Innerhalb dieser Moden gibt es nur Ein- und Ausgrenzungen."
Daher ist das Thema seiner aktuellen Ausstellung "Mode und Mobbing" in der
Galerie Kampl doppeldeutig: Eine ironische Anspielung auf die Gesetze des
Kunstmarkts und gleichzeitig eine Persiflage auf das Überlebenstraining des
Individuums im Marken- und Label-Dschungel. Die täglich verfügbaren Attribute,
mit denen sich das modebewusste Ego ständig neu entwirft und verwirft,
verschmilzt Hofstetter in seinen Modearbeiten. Das Patchwork-Outfit für den
Herrn kombiniert eine Military-Hose mit aufgestepptem Schriftzug "Who am I" mit
einem Mantel aus Teichfolie und DNA-Muster auf dem Futter. Die Designerin
Angelika Stölzl setzte die mit vielen Attributen wie "feierlich", "vulgär", "fleischlich",
"kämpferisch" versehenen Entwürfe Hofstetters in Kleider um, die auch tragbar
sind. "Wenn ein Spaziergänger an der Galerie vorbeikommt und durchs
Schaufenster die Kleider sieht, denkt er vielleicht zuerst, dass er vor einer Boutique
steht", erklärt Michael Hofstetter - "Ich will den Betrachter irritieren."
Der 1961 geborene Künstler studierte in Tübingen zunächst Germanistik,
Philosophie und Kunstgeschichte, bevor er sich an der Münchner Akademie der
Künste einschrieb, wo er von 1993 bis 1995 auch unterrichtete. Zwischen seinen
theoretischen Entwürfen über zeitgenössische Kunst, ihr Verhältnis zur
Wirklichkeit und Hofstetters künstlerischen Arbeiten gibt durchaus
Rückkopplungen: Im Papierkorb eines Druckvorlagenherstellers fand der Künstler
Fotografien von Models. In die Gesichter der jungen Frauen hatte ein Artdirektor
Anweisungen zur nachträglichen Bearbeitung der Fotos eingezeichnet - vollere
Lippen, kühlere Augen, größeres Nasenloch. Hofstetter nimmt diese Bilder,
verändert sie nicht, sondern hängt sie nur in Serie. Scheinbar wertloser
Zivilisationsmüll wandert ins Museum und wird dort geadelt als Ästhetik des Abfalls
- ein bekanntes Prinzip, das Duchamp mit seinem Flaschentrockner vor etwa
achtzig Jahren vorgeführt hat.
"Duchamp hat möglichst neutrale Objekte verwendet. Ich suche das Gegenteil: Die
Bilder der Fotomodelle sind extrem aufgeladen, übercodiert. Die handschriftlichen
Notizen geben den Blick auf das Gesicht wider. Sie sind Stellvertreter, schlagen eine
Art Schneise in die Gesichter und zerstören damit die Aura." Angewandte Theorie
oder Wiedergeburt des Blicks? Beide Extreme treffen in Hofstetters Arbeiten
aufeinander - eine eigenwillige Gratwanderung.
Bis Ende Mai in der Galerie Kampel, Buttermelcherstraße 15.
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